Ich war ein winziges Samenkorn, als mich eines Tages der Wind davongetragen
hat. Das war ein herrliches Gefühl, so lustig durch die Lüfte zu
schweben – bis ich plötzlich an einer hohen Steinmauer anschlug, um letztendlich
auf der Erde zu landen. Zu meinem Glück fiel ich auf weichen Boden,
und ich fing an auszutreiben. Meine Wurzeln fanden schnell den Weg
in die Erde, und meine Triebe reckten sich dem Himmel entgegen. Als ich
ein Jahr alt war, wurde ich von sämtlichen Spaziergängern bewundert, was
für ein hübsches Bäumchen ich doch sei. Das machte mich mächtig stolz
und glücklich. Bestrebt, ein besonders großer Baum zu werden, wuchs ich
schnell in die Höhe und vergaß dabei beinahe, meine Wurzeln zu festigen.
Nachdem mich ein Herbststurm ziemlich gebeutelt hatte, konzentrierte
ich mich wieder mehr auf meine Standfestigkeit. Doch dann stießen
meine Wurzeln an etwas Hartes und Undurchdringbares. Der Weg, den
meine Wurzeln einschlagen wollten, war durch die Mauer versperrt, also
musste ich immer wieder ausweichen und eine andere Richtung nehmen.
Also wuchs ich von der Mauer weg, dann nach rechts und nach links und
schließlich wieder ein wenig in die Höhe. Immer öfter geschah es, dass vorüberkommende
Menschen über mich spotteten: „Was ist er doch nur für
ein hässlicher, unförmiger Brennholzlieferant geworden. “Ich sah an mir
herunter und betrachtete mich mit den Augen der Menschen. Das machte
mich sehr traurig. Ich schämte mich von da an und hatte keine Freude
mehr am Leben. Bis mich eines Tages ein paar Kinder entdeckten: „Schaut
mal, was für ein toller Baum das ist!“ Ich konnte kaum bis drei zählen, so
schnell waren sie lachend auf meine Äste geklettert und turnten ausgelassen
auf mir herum. Schaukeln wurden an meinen Ästen befestigt, und sogar
Bänke wurden in meinem Schatten aufgestellt. Wieder sah ich an mir
herunter und sah mich mit den Augen der glücklichen Kinder. Das machte
mich froh. Ich erkannte meine Besonderheit und hatte wieder Freude an
meinem Leben - mindestens so viel wie damals, als ich noch ein besonders
hübsches Bäumchen gewesen war.
Diese Geschichte stammt aus dem Buch "Sonnenseiten des Lebens" . Das Geschichtenbuch ist im Buchhandel, online (ISBN: 978-3-9819881-2-3) oder unter www.gisela-rieger.de erhältlich.
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"Wir verbringen einen großen Teil des Lebens damit, die Achtung anderer zu erwerben. Aber Selbstachtung zu gewinnen, darauf verwenden wir wenig Zeit."
Lebensweisheit: Josef von Sternberg