Ich führte eine sehr glückliche Ehe, jedenfalls über viele Jahre hinweg.
Mein Mann und ich haben uns während des Studiums kennen- und lieben
gelernt, und beiden war uns klar, dass unsere Herzen für immer zusammengehörten.
So haben wir schon nach nur einem Jahr „wilder Ehe“ geheiratet.
Wir waren auch für all unsere Freuden das „Vorzeigeehepaar“,
wie sie uns oft benannten. Ja, wir liebten uns unendlich, hielten zusammen,
bauten gemeinsam unser Traumhaus, bekamen unsere drei Wunschkinder,
hatten keine großen finanziellen Sorgen, … beinahe wie im Bilderbuch.
Ich kann auch gar nicht mehr sagen, wie und wann genau sich das veränderte.
Die Kinder waren alle längst aus dem Haus, aber sie besuchten uns
regelmäßig mit unseren Enkelkindern. Das waren dann gute Tage, es kam
Leben zurück in unser trautes Heim. Aber wenn der Besuch wieder weg
war, befiel uns das große Schweigen. Wir hatten uns nichts mehr zu sagen,
wir stritten nicht einmal. Es war nur so, dass wir immer häufiger getrennte
Wege gingen. Während mein Mann jede freie Stunde auf dem Golfplatz
verbrachte und die Abende oft mit seinen Freunden beim Kartenspiel, unternahm
ich mit meinen Freundinnen diverse Bergtouren und ging abends
gerne in Konzerte oder zu Theateraufführungen.
Die wertvollsten Reichtümer kann man nicht kaufen:
Dann stand wieder einmal Weihnachten vor der Tür, wir beide waren ganz
alleine, da unsere Kinder mit den Enkeln immer erst am zweiten Weihnachtsfeiertag
eintrudelten. Vollkommen emotionslos blickten mein
Mann und ich auf den festlich geschmückten Christbaum. Keiner hatte,
wie früher üblich, für den anderen ein mit Liebe ausgesuchtes Geschenk
besorgt, da wir gar nicht mehr wussten, was wir uns gegenseitig schenken
sollten. Wie sagt man so schön – die Luft war raus! Aber wir kamen nach
langer Zeit endlich wieder ins Gespräch.
Wir mochten und schätzten einander nach wie vor – aber die Liebe war
verschwunden – es war einfach passiert, sozusagen ein schleichender Prozess,
und keiner konnte sagen, wann und wie dies genau geschehen war.
Mein Mann ging in den Keller und kam mit einer Flasche unseres Lieblingsrotweins
zurück. Wir redeten und redeten bis weit nach Mitternacht. Wir
beschlossen, dass jeder für sich zwei Wochen Urlaub machen würde, um
sich über seine Gefühle klar zu werden.
Wer gWer dagegen all seine Gefühle zulässt, der wird meist vieles gewinnen.
Mein Mann buchte also eine Golfreise in wärmeren Gefilden, und ich zog
mich in ein kleines Hotel in ein verschlafenes Bergdörfchen zurück.
Während meiner täglichen Wanderungen dachte ich viel nach. Über mich,
mein Leben und meine Ehe. Ich war weder traurig noch glücklich, eher
überwog das Gefühl einer großen Dankbarkeit für die vielen guten Jahre,
und auch eine gewisse Abgeklärtheit stellte sich ein.
Nach einer Woche Wanderurlaub saß mir beim Abendessen ein neu angereister
Gast am Nebentisch gegenüber. Er grüßte freundlich und schaute
mir kurz in die Augen. Ich weiß nicht, wie das geschah – aber ich bekam
Herzklopfen, und die Röte stieg mir ins Gesicht, ich fühlte mich wie ein
Teenager. An diesem Abend saß ich nicht lange allein an meinem Tisch,
mein äußerst sympathischer Tischnachbar spendierte eine Flasche Wein,
und so waren wir die letzten Gäste, die ein wenig beschwipst das Restaurant
verließen.
Meine zweite Urlaubswoche verbrachte ich von morgens bis abends mit
meiner neuen Bekanntschaft. Es fühlte sich an, als ob wir uns schon seit
Jahren kennen würden. Vielleicht lag es an unserem gemeinsamen Thema,
denn auch er machte „Urlaub von der Ehe“, um sich klar zu werden, ob
er und seine Frau zusammenbleiben oder sich trennen sollten.
Wir sprachen über Gott und die Welt und stellten fest, dass wir viele gemeinsame
Interessen hatten.
Unsere Augen sprachen zwar Bände, aber beide vermieden wir es stets,
uns körperlich näher zu kommen. An unserem letzten gemeinsamen Tag
bestiegen wir, schweigsam nebeneinander im Gleichschritt einhergehend,
den Berg. Mir war nicht nach einer Unterhaltung zumute, und meine Gedanken
drehten sich im Kreis.
Vermutlich war ich, abgelenkt vom Kopfkino, ein wenig unachtsam. Ich
machte, kaum am Gipfel angekommen, einen falschen Schritt, kam ins
Rutschen und landete prompt sicher in den Armen meines Begleiters.
So kam es, wie es kommen musste: Wir lagen uns in den Armen und gaben
uns einen filmreifen Kuss – bei dem es freilich nicht blieb. Wir konnten es
kaum erwarten, vom Gipfel ins Hotel zu kommen, wo wir die Zimmertür
hinter uns schlossen und uns treiben ließen. Mein Verstand hatte komplett
ausgesetzt und mein Gefühl hatte die Regie übernommen. Es waren
unvergesslich schöne Stunden, die wir miteinander erlebten.
Die Sternstunden meines Lebens sind gefüanz viel Lebensfreude.
Am nächsten Morgen, als wir müde und eng umschlungen aufwachten,
waren wir zwar überglücklich, allerdings hatten wir beide auch ein
schlechtes Gewissen – schließlich waren wir ja in den Urlaub gefahren, um
darüber nachzudenken, ob man der bestehenden Ehe noch eine Chance
geben sollte. O.K., ich hatte ja zumindest eine Woche Zeit zum Nachdenken
gehabt, und mein Herzensmann hatte noch eine Woche vor sich. Um
unser Gewissen ein wenig zu bereinigen, beschlossen wir beim Abschied,
keinerlei Kontaktdaten auszutauschen. Wir wollten, unbeeinflusst vom
jeweils anderen, ganz unabhängig und frei entscheiden können, ob wir
unsere langjährigen Beziehungen aufrechterhalten wollten oder nicht.
So beschlossen wir für den Fall, dass wir in fünf Wochen beide frei sein
sollten, uns in Salzburg zu den Festspielen treffen. Das genaue Datum sowie
die Uhrzeit für den „eventuellen“ Treffpunkt wurden festgelegt.
Als ich wieder zuhause angekommen war, verflogen meine Gewissensbisse
schnell, denn mein Mann fiel gleich mit der Tür ins Haus und teilte mir
mit, dass er sich im Urlaub verliebt habe.
Erleichtert umarmte ich ihn und erzählte, dass ich dies zwar nicht erwartet,
es aber bestens verstehen konnte.
Nun bereute ich es zutiefst, mit meinem Herzensmann keine Kontaktdaten
ausgetauscht zu haben. Ich wusste nur seinen Vornamen und dass
er in Salzburg lebte. Kurz überlegte ich, wie viele Josefs es wohl in dieser
Stadt geben würde. Vermutlich genauso viele, wie Michaelas in München.
Also musste ich die fünf langen Wochen bis zu unserem Wiedersehen abwarten.
Fünf Wochen voller Sehnsucht!
Die Zeit vergeht zu langsam, wenn man traurig ist. Die Zeit vergeht zu verfliegt, wenn man verliebt ist.
Aber dann kam endlich der Tag. Voller Vorfreude besorgte ich mir ein
Ticket für den früheren Zug, sodass auf keinen Fall etwas schiefgehen
konnte! Ich saß in der Regionalbahn nach Salzburg, meine Glückshormone
purzelten, denn ich kam meinem geliebten Herzensmann immer näher.
Zumindest bis nach Bad Endorf – dann hieß es: Endstation – alles aussteigen
– es habe auf der Strecke einen schweren Unfall gegeben – aber der
Schienenersatzverkehr sei schon angefordert. Ich lief mir vor Aufregung
beinahe meine Füße wund, bis ich endlich einsehen musste, dass ich den
vereinbarten Zeitpunkt unseres Treffens unmöglich schaffen konnte,
selbst wenn Josef eine Weile auf mich warten würde – falls er überhaupt
da sein sollte … mein Kopfkino spielte gerade ein großes Drama ab, und
so sank ich auf eine Bank. Die Enttäuschung war mir ins Gesicht geschrieben,
und ich konnte meine Tränen kaum noch aufhalten.
Da sprach mich plötzlich eine Frau, ähnlich festlich gekleidet wie ich, an:
„Wollten Sie auch zu den Salzburger Festspielen?“ Da es mir in meiner Verzweiflung
die Kehle zuschnürte, konnte ich nur nicken. Dann strahlte sie
mich an und teilte mir mit, dass sie mit ihrer Schwester auch gerade auf
dem Weg dorthin sei und in wenigen Minuten nun ihr Mann käme, um sie
noch pünktlich nach Salzburg zu bringen und: Im Auto war noch ein Sitzplatz
frei!
Was soll ich noch sagen – Glück im Unglück – ich schaffte es gerade noch
rechtzeitig. Schon von Weitem sah ich meinen Herzensmann mit einer roten
Rose auf mich zukommen …
Zum Glück habe ich mit meinen Rettern die Kontaktdaten ausgetauscht,
denn zu ihnen entstand eine enge Freundschaft. Ja, sie wurden sogar unsere
Trauzeugen und haben erst letzte Woche mit uns auf unseren zehnten
Hochzeitstag angestoßen.
Diese Geschichte stammt aus dem Buch "Sonnenseiten des Lebens" . Das Geschichtenbuch ist im Buchhandel, online (ISBN: 978-3-9819881-2-3) oder unter www.gisela-rieger.de erhältlich.
Es war einmal ein Schreiner, in dessen Haus viel gelacht und oftmals Feste gefeiert wurden. Doch eines Abends hörten die Nachbarn lautes Jammern, Weinen und ...
"JA zu allem sagen was ist, erkennen dass alles EINS ist, dies ermöglicht der befreite Geist. Das große ICH (das Selbst)."
Zitat: Ronald Mayrhofer