Der fromme Mann und die Schlange - eine weise Geschichte

Weise Geschichten die berühren, verzaubern, motivieren und inspirieren.

Der fromme Mann und die Schlange

An einem heißen Sommertag schlug ein frommer, alter Mann auf seiner
Wanderschaft einen kleinen Umweg über die kühlenden Wälder ein.
An einer Wegkreuzung traf er auf junge Hirten, die ihm abrieten jenen
Weg weiterzugehen, da dieser sehr gefährlich sei. Es gäbe eine giftige
Schlange, die sich vor jedem, der diesen Weg gehe, aufbäume und mit
ihren Giftzähnen töte, der nicht schnell genug entfliehen könne! Jeder
aus ihrem Dorf meide daher diesen Pfad!
Der fromme Mann bedankte sich bei den Jungen für deren gut gemeinte
Worte, erklärte jedoch, dass er keine Angst habe und mit der Schlange
schon zurechtkommen würde.
Beeindruckt und neugierig von des Mannes Worten, verfolgten die jungen
Hirten heimlich seinen Weg. Zur Not würden sie den Mut aufbringen,
den unbewaffneten, alten Mann mit ihren Hirtenstäben vor der bösen
Schlange zu schützen.
Plötzlich erschien die Schlange erhobenen Hauptes vor dem frommen
Mann, zischte laut und zeigte ihre Giftzähne. Daraufhin verließ die Hirten
jeglicher Mut, ihre gedachte Hilfe anzubieten.
Die Hirten konnten nicht wissen, dass der fromme Mann die Sprache der
Tiere beherrschte. Er sprach zu der Schlange: »Warum richtest du Unheil
an und tötest wehrlose Menschen mit deinen Giftzähnen?« Die Schlange
zischte: »Weil ich große Angst vor ihren feindseligen Blicken habe und
sie schon oft nach meinem Leben trachteten! Daher beiße ich jeden, der
mir zu nahe kommt!«
Der fromme Mann erklärte der Schlange, dass die Angst der Menschen
vor ihrer »giftigen Mächtigkeit« weitaus größer wäre! Jedes Lebewesen
sei eine göttliche Schöpfung, daher sei ein grundloses Töten gegen die
Natur! Er forderte von der Schlange das Versprechen, dass sie nie wieder
einen Menschen töten würde!
Ehrfürchtig von den frommen Worten fiel die Schlange zusammen wie
ein Regenwurm und beteuerte, dass sie nie wieder einem Menschen
Leid zufügen werde. So zog der Mann friedlich weiter.
Die heimlichen Beobachter konnten natürlich die gesprochenen Worte
nicht verstehen und ihre Neugierde wurde so groß, dass sie sich vorsichtig
der Schlange näherten.
Die Schlange bekam große Angst, doch sie erinnerte sich an das Versprechen,
das sie dem frommen Mann gegeben hatte und blieb still liegen.
Die erstaunten Hirten warfen vorerst mit Steinen nach der Schlange.
Als sich diese nicht rührte, wurden sie mutiger. Sie schlugen mit ihren
Hirtenstöcken solange auf die Schlange ein, bis sie diese tot glaubten
und warfen sie ins Gebüsch.
Der fromme Mann wählte auf seinem Rückweg wieder jenen Pfad, um
nach der Schlange zu sehen. Als sich diese an der gewohnten Stelle nicht
zeigte, rief er nach ihr und sie kroch elend zugerichtet aus ihrem Versteck.
Sie beteuerte dem Mann, dass sie ihr Versprechen gehalten und
keinem Menschen Leid zugefügt habe und erzählte was geschehen war.
»Welch eine Schande!«, rief der alte Mann aus, »Warum hast du dich
nicht geschützt und verteidigt? Ich hatte dir lediglich aufgetragen, nicht
mehr mit deinem Gift zu töten. Aufbäumen und Zischen, was deiner
Natur entspricht, hatte ich dir nicht verboten! Warum hast du die Hirten nicht
Mit deinem Zischen verscheucht?«

 

© Gisela Rieger; aus dem Buch „Inspirationen für`s Herz“ (ISBN 978-3-00-050869-1)

(Wir nutzen die Geschichte mit freundlicher Genehmigung durch die Autorin. Danke!)

 

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Zitat: Michael Wollmann, Philosoph und Aphoristiker, *1990