Vor einigen Jahrzehnten suchte ein reicher Kaufmann dringend einen
neuen, zuverlässigen Laufburschen und gab deshalb in der Tageszeitung
eine Stellenanzeige auf.
Umgehend meldeten sich über zwanzig Männer, die alle zu einem Bewerbungsgespräch
geladen wurden.
Der Kaufmann wählte schnell einen der Stellensuchenden aus.
Sein alter Prokurist fragte ihn: »Mich würde interessieren, weshalb Sie
gerade diesen jungen Mann bevorzugt haben, obwohl er als Einziger
keinen Empfehlungsbrief vorweisen konnte?«
»Sie irren sich«, lautete die Antwort, »dieser Bewerber war im Besitz
zahlreicher Empfehlungen.
Im Vorzimmer drängte er sich nicht vor und bot umgehend einem älteren
Wartenden seinen Stuhl an. Das zeigt mir, dass er über Geduld, Aufmerksamkeit
und Herzensgüte verfügt.
Ehe er mein Büro betrat, putzte er seine Füße ab und schloss die Türe
hinter sich. Daraus schließe ich, dass er sorgfältig und höflich ist.
Er nahm seine Mütze ab und reichte seine Hand zum Gruß.
Daran erkenne ich, dass er gute Manieren hat.
Er sah mir, trotz meiner Musterung, stets in die Augen.
Das zeigt mir, dass er ehrlich ist.
Auf alle meine Fragen konnte er schnell und sicherantworten.
Das beweist mir, dass er Verstand hat.
Er hob als Einziger das Taschentuch auf, welches ich
absichtlich auf den Boden hatte fallen lassen.
Daraus schließe ich, dass er gute Sitten besitzt.
Seine Hände und sein Gesicht waren sauber und seine Kleidung war
gut ausgebürstet. Daran sehe ich, dass er korrekt ist und gut erzogen wurde.
Ich stellte ihm deshalb ein gutes Zeugnis für sein anständiges Benehmen aus.
Mein Lieber, ich gebe mehr auf das, was ich von einem Menschen erfahre,
nachdem ich ihn wenige Minuten lang gesehen habe, als auf das, was
in schön formulierten Empfehlungsbriefen geschrieben steht.«
© Gisela Rieger; aus dem Buch "Geschichten die dein Herz berühren" ; ISBN 978-3-00-053788-2 (Wir nutzen die Geschichte mit freundlicher Genehmigung durch die Autorin. Danke!)
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Es war einmal ein kleiner grauer Esel, der sich den ganzen Sommer lang auf der Weide vergnügte. Seine Mutter war eine sehr angesehene und hübsche Eselin. ...
"Gute Manieren wollen nicht
wie eine Kunst ausgeübt,
sondern unbewußt geübt sein."
Zitat: Georg von Oertzen, deutscher Schr iftsteller, 1829–1910